1964 kaufte mein Vater endlich ein neues Sonntags-Auto. Der Vauxhall Velox war der billigste Sechszylinder mit sechs Plätzen auf dem Markt. Den alten 51er Kapitän durfte ich ab 1966 ausfahren, bis er bald ganz durchrostete.
Heute fahre ich neben meinen Vauxhalls wieder einen Kapitän 1954, eine butterweiche Schaukel mit einem eeelastischen Wundermotor. So schön zu fahren wie ein Motorboot. Hans
Dieser war 2009 mit zu Besuch in Wangen an der Aare. Danach erschien in der Alt-Opel-Zeitschrift der folgende Artikel:
Captain Cresta
Zum fünfzigjährigen Jubiläum des Kapitän P 2.6 bringen wir einen Vergleich, den Schweizer Opel-Interessenten tatsächlich anstellen konnten. Denn bei ihnen gab es vor fünf Jahrzehnten nicht nur eine große Auswahl an Sechszylindern, sondern sie konnten sogar zwischen dem Kapitän und seinem zweieiigen Zwilling wählen, dem Velox bzw. Cresta von Vauxhall. Wir haben die Gelegenheit genutzt, die ungleichen Brüder beim Internationalen Jahrestreffen in Wangen an der Aare gegeneinander antreten zu lassen. Da der Cresta schon 1957 auf den Markt kam und somit nacheinander mit Kapitän ´ 57, P und P 2.6 konkurrierte, wurde es aus Gründen der Fairness im Haupttest der Kapitän P. Aye-aye, (Captain) Cresta – oder ahoi, Kapitän? Leinen los!
Engländer fahren auf der falschen Straßenseite, essen Lamm in Minzsauce, ohne dabei das Gesicht zu verziehen – und sie bauen merkwürdige Autos. Wenn auch heute nicht mehr in großen Mengen, das Gros der Marken ging in British Leyland oder in der Rootes-Gruppe auf und dann unter. Vor fünfzig Jahren, als der erfolgreichste Opel Kapitän aller Zeiten debütierte, war das anders. Wer sich einen Sechszylinder erlauben konnte und in der Schweiz lebte, hatte eine heute unvorstellbare Auswahl an Marken und Modellen. Aus Deutschland den Opel Kapitän und den Mercedes 220 Sb, aus Italien den Fiat 2300 und die Lancia Flaminia, aus den USA diverse „kleine“ Modelle von GM, Ford und Chrysler. Die größte Vielfalt an Sechszylindern jedoch kam aus England. In der Schweiz waren zu haben, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Rover P4 und 3 Litre, Humber Super Snipe, Jaguar Mk I, Ford Zephyr und Zodiac, Wolseley 6/80, Austin Westminster – und der Vauxhall Velox bzw. Cresta. Englands Kapitän, montiert wie das deutsche Schwestermodell in Biel.
Heute sind Vauxhall und Opel nur noch durch das Markenzeichen zu unterscheiden, vor fünf Jahrzehnten war auch das anders. Die lokalen GM-Marken fertigten nicht nur eigene Karosserien, sondern entwickelten auch eigene mechanische Komponenten, die einander in der Dimensionierung zwar ungefähr entsprachen, aber keine Gleichteile enthielten. Produktionssteuerung und Lagerhaltung in Biel müssen kompliziert gewesen sein. Doch diese Resultate der eigenständigen Entwicklungsarbeit wurden in Kauf genommen, und auf dem Markt begegneten sich die Zwillinge kaum irgendwo. Opel exportierte in den EG-Raum und in verschiedene Überseeländer, Vauxhall war neben dem Heimatmarkt natürlich im Commonwealth präsent, in den Kolonialgebieten mit dem Cresta aber nur mäßig erfolgreich – Teile der konservative Kundschaft mochten sich mit der selbsttragenden Karosserie nicht recht anfreunden.
Für Vauxhall war diese bei Opel damals bereits zwei Jahrzehnte praktizierte Bauart zwar auch kein Neuland mehr, aber während die Vorgängermodellreihe wenigstens noch althergebracht aussah, wirkte der im Herbst 1957 präsentierte Cresta auf seine Betrachter betörend modern bis verstörend ungewohnt. Zuvor galt die Regel, dass die GM-Töchter den in den USA ersonnenen Moden mit ein, zwei Jahren Verzögerung folgten. Das wurde mit dem Cresta anders, und das demonstrierte er gründlich. Nicht nur in England, in ganz Europa gab es kein vergleichbares Design. Ganz neu waren die durchgehenden Seitenteile zwar nicht mehr, der Opel Kapitän hatte sie schon seit 1953, aber beim Cresta bestach die Betonung der Horizontale. Dramatisch die Panoramascheiben, hinten dreigeteilt, die riesigen Rückleuchten, die aufgesetzten Heckflossen mit den integrierten Blinkern und die markante Frontpartie mit den unter kleinen Hutzen montierten Scheinwerfern, dem mächtigen Kühlergrill und den stark konturierten Stoßstangen. Unterstrichen wurde der Schritt vorwärts durch eine bislang in Europa nie gesehene Farbpalette, die selbst ein knalliges Pink enthielt und diverse Zweitonkombinationen bereithielt. Das Vorgängermodell sah mit dem Erscheinen des Cresta buchstäblich alt aus, der Bruch hätte größer kaum sein können. Neben dem Cresta, schrieb der englische Journalist Giles Chapman im Independent treffend, wirkte ein traditioneller Humber oder Rover wie eine Kreuzung aus einem U-Boot und einem Pub aus den Tagen von King Edward.
Opel ging einen anderen Weg: Die Pontonform kam schon mit dem Kapitän ´54, der nach einem Jahr milde, aber gekonnt retuschiert den Übergang zum Kapitän P 1958 weit weniger abrupt erscheinen ließ. Seitenlinie und Dachpartie des Kapitän P erinnern durchaus an den Cousin von den Britischen Inseln, Front und Heck aber nicht. Opel blieb bei den klar vom Kühlergrill getrennten Scheinwerfern, ließ die Seitenteile in den legendären Schlüsselloch-Rückleuchten auslaufen, richtige Heckflossen bekam der Kapitän jedoch nicht. Insgesamt wirkte der Kapitän P mit seinen Panoramascheiben zwar modischer als sein Vorgänger, aber eine radikale Abkehr vom gewohnten Bild bot er nicht.
Der Punkt für die Überraschungswertung geht an den Vauxhall.
Im Innenraum ging Opel beim Schlüsselloch-Kapitän einen Schritt zurück und wählte eine verglichen mit dem Vorgänger sachlichere Gestaltung. Zweifarbig abgesetzte Sitze und Türverkleidungen gab es natürlich, ebenso wie reichlich Chromapplikationen und den modischen Bandtacho. Die Anordnung der Bedienelemente gibt jedoch keinerlei Rätsel auf.
Im Vauxhall ruhen die Rundinstrumente in riesigen Gehäusen, größer als Familieneisbecher. Das typische Leder hat er an Bord, das typische Holz aber nicht. Sehr ungewöhnlich für ein gehobenes englisches Automobil dieser Zeit! Die etwas knappe Kopffreiheit im Fond haben beide gemeinsam, doch wird dieser Eindruck von den seitlich im Sichtfeld liegenden C-Säulen stark gefördert. So eng sitzt man hinten nicht, wie es damals hier und da behauptet worden ist. Vorn hingegen geht es großzügig zu, die Sichtverhältnisse sind dank der später viel gescholtenen Panoramascheiben hervorragend, und einen größeren Kofferraum als man jemals brauchen wird haben beide.
Wer Jahrzehnte vorm Ikea-Zeitalter regelmäßig Schrankwände zu transportieren hatte, konnte beim Vauxhall-Händler auch einen Cresta Estate bekommen, einen Caravan, den es bei Opel für den Kapitän leider nie gegeben hat.
Punkteteilung. Der Opel ist auf Anhieb angenehmer zu bedienen, der Vauxhall besticht durch mehr zeittypische Überdrehtheit.
Bei der Mechanik kann der Kapitän auftrumpfen. Sein Motor stammt ebenso vom Vorgänger wie der des Cresta, dessen 2,2 Liter messender Sechszylinder zwar seidig läuft, mit dem großen Gehäuse aber doch seine Mühe hat. Zeitgenössische Messwerte attestieren dem 82 BHP starken Cresta den sportlichen Wert von knapp 17 Sekunden auf 96 km/h, der Kapitän braucht theoretisch etwas länger. Dafür muss er weniger hoch gedreht werden und fühlt sich gerade im Hügelland subjektiv etwas kraftvoller an. Seine Kraft schöpft der Opel-Sechszylinder aus gerade 300 cm³ mehr, dafür erreicht er seine Nennleistung von 80 DIN-PS aber auch bei 300 U/min weniger als der Cresta-Motor, bei gemütlichen 4100 U/min. Der Unterschied im Drehmoment wirkt aber größer als es die Werte vermuten lassen, und wenn man mit dem Cresta auch unter Messbedingungen ein wenig schneller fahren könnte, mit dem Kapitän ist man gelassener unterwegs.
Beide werden am Lenkrad geschaltet und haben drei Gänge, die im Opel wegen des höheren Drehmoments eher angemessen wirken, im Vauxhall rührt man öfter durch die Zahnräder.
Der Punkt für Motor und Antrieb geht an den Kapitän.
Fahrwerk und Bremsen bilden bei beiden die Disziplin, in der sich der Fortschritt am deutlichsten zeigt. Die mächtigen Karosserien schaukeln durch die Kurven, von außen sieht das gefährlich aus, hinterm Lenkrad fühlt es sich nicht so an. Man hat beide Sechszylinder gut im Griff, muss aber bei flotter Fahrweise – und bergab, wir sind in der Schweiz – an den großen Lenkrädern gegen die Neigung zum Untersteuern ankurbeln. Die Trommelbremsen sind für eine andere Verkehrsdichte gemacht als wir sie heute haben, man bleibt besser auf dem Land und meidet hektischen Verkehr. Die letzten Cresta waren übrigens mit Scheibenbremsen zu haben.
Punkteteilung. Die erste Runde endet in einem Patt. Der Cresta bietet noch mehr verspielten bis verwegenen Zeitgeist der fünfziger Jahre als der Kapitän, kann sich aber auf der Straße nicht behaupten. Der praktisch denkende Schweizer hätte eher den Opel gewählt.
Die zweite Runde läutete Opel mit dem Kapitän P 2.6 ein, dem erfolgreichsten Kapitän aller Zeiten. Die Linie sachlicher, europäischer, die Raumausnutzung besser, vor allem hinten, die Mechanik verfeinert. 90 PS aus 2,6 Litern sorgten für erneut verbesserten Durchzug bei noch immer sprichwörtlich ruhigem Lauf, der von einer verbesserten Motoraufhängung unterstützt wurde. Automatikgetriebe und Servolenkung hielten Einzug, und Opel übte trotz des unbestreitbaren Mehrwerts Preiszurückhaltung. Auch das sorgte für den immensen Verkaufserfolg des Kapitän P 2.6.
Bei Vauxhall gab es schon vorher eine retuschierte Karosserie. Die Front erhielt einen oben oval abschließenden Kühlergrill, die Heckscheibe wich einer einteiligen Ausführung. Ein Vertreter dieser Cresta Mk. II genannten Serie ist das hier gezeigte schwarze Auto, es gehört Martin Rüegger, der uns gemeinsam mit anderen Mitgliedern des Vauxhall Owners Club of Switzerland in Wangen an der Aare besucht hat.
1960 ging der Cresta in die nächste Runde, war von hinten leicht erkennbar am gezielt entschärften Heck mit normal großen Rückleuchten, von vorn nicht ganz so leicht an den in je einem Gehäuse zusammengefassten Blinkern und Standlichtern, und nun gab es auch einen modischen Bandtacho. Wichtiger als die Retuschen an Karosserie und Innenausstattung war jedoch der Fortschritt unter dem Blech: Der intern PADX genannte Cresta hatte nun einen Motor mit 2650 cm³, 113 BHP stark, konnte fast 160 km/h erreichen und brillierte mit einem dem Rivalen aus Rüsselsheim ebenbürtigen Durchzug. Das jedenfalls steht in alten Testberichten.
Vor uns steht der Cresta Series III von unserem Clubmitglied Hans Wuhrmann, 1999 aus erster Hand gekauft, bis auf den damals durchpolierten Zweitonlack unrestauriert. Weiter hat Hans natürlich die Bremsen und die Reifen erneuert, viel mehr aber auch nicht.
Wie sich der Cresta gegen den Kapitän im direkten Vergleich geschlagen hätte, können wir nur bedingt sagen. Die Dreigang-Hydramatic schaltet zwar butterweich, aber auch sehr, sehr langsam. Damalige Tests attestieren dem Cresta mit dem vergrößerten Motor erneut etwas bessere Werte als dem zeitgenössischen Kapitän: 15 Sekunden auf 96 km/h maß The Motor, die Spitze wurde mit rasanten 152 km/h gestoppt. Einen Hauch flotter als der Kapitän also, auf dem Papier jedenfalls. Immerhin ist der Zuwachs an Kraft spürbar, der Series III wirkt harmonischer als sein Vorgänger. Wir hätten ihn gern als Schalter gefahren, aber er ist heute so selten, dass man selbst in England lange danach suchen muss. Mit der Hydramatic jedenfalls bewegt sich der Cresta gemächlich vom Fleck, was zur verwegenen Optik nicht recht passen mag.
Befördert wurde das verglichen mit dem Opel Kapitän geradezu dramatische Aussterben dieser Traumwagen durch ihr Rostimage. In den Siebzigern fuhren darin die Männer mit den tätowierten Oberarmen herum, viele Autos endeten im Banger-Racing. Einen solchen Vauxhall wollte lange Zeit kaum jemand haben, und als er wieder entdeckt wurde, war es zu spät. Englische Sammler kaufen heute solche PA Cresta sogar im fernen Australien, weil sie zu Hause keine mehr auftreiben können.
Das Rostimage war durchaus berechtigt, sagt Hans Wuhrmann, und überlebt haben fast nur Sonntagsautos. Ironie des Schicksals: Augerechnet die einst als progressiv empfundenen Panoramascheiben spielten beim verfrühten Rosttod eine Rolle, der vordere Scheibenrahmen gilt als berüchtigtes Rostnest.
Direkt vergleichen mit den Zahlen des Kapitän lässt sich die Stückzahl von insgesamt rund 173.000 Cresta PA nicht. Er lief zwischen 1957 und 1962, der Kapitän P 2.6 von 1959 bis 1964. Gerade in diesen Jahren verlief das Wirtschaftswachstum jedoch so stürmisch, dass zwei Jahre Unterschied in der Laufzeit einen Riesenunterschied ausmachen. Der Händler konnte 1964 viel mehr verkaufen als noch 1957. Hinzu kommt, dass der Vauxhall am Ende seiner Laufzeit eben wegen seines verspielten Designs deutlich als altes Auto zu erkennen war, während der Kapitän P 2.6 schon einige gestalterische Merkmale der sechziger Jahre vorwegnahm. So ereilte den einst als epochal empfundenen Vauxhall PA Cresta das Schicksal, das schon sein Vorgänger hatte: die Ablösung durch einen viel moderneren Nachfolger. Genau so erging es auch dem Kapitän P 2.6, doch nach dem Ende der Bauzeit lief es für ihn besser: Heute ist ein solcher Kapitän nicht nur leichter zu finden als ein Cresta, die Ersatzteilversorgung bereitet auch weniger Kopfzerbrechen.
Geheimtipp: Der Cresta PB ist heute noch für kleines Geld zu haben, deutlich günstiger nicht nur als der Vorgänger, sondern auch als der KAD A. Eine eher spröde Schönheit zwar, aber gediegen ausgestattet, mit serienmäßigen Scheibenbremsen und später sogar 3,3 Litern.
Mehr über Opels englische Schwestermarke bei unseren Freunden vom Vauxhall Owners Club Switzerland.
http://www.vauxhall-club.ch/
Ein herzliches Dankeschön für die Hilfe bei dieser Geschichte stellvertretend an Marlyse Haefliger!
Der Gewinner unseres nicht ganz ernsthaften Vergleichstests?
Jeder, der einen solchen Traumwagen der fünfziger Jahre in der Garage hat. Der Vauxhall hat beim Design hier und da die üppig verchromte Nase vorn, so etwas tolles wie die hinteren Türgriffe oder den Instrumententräger bieten nicht mal heute als Ikonen verehrte US-Klassiker, der Kapitän hingegen ist vor allem als P 2.6 der Oldtimer, der auch nüchtern betrachtet immer noch überzeugen kann. Und man trifft immer Leute, die sich an ihn erinnern.
Text: Stefan Heins *1662
Fotos: Dr. Hans Wuhrmann *2391, Stefan Heins *1662
2009, vor dem Treffen